Ausflug ins Schilf (Eine Flux-Erfahrung)
3. März 2021
Es ist Freitag, 9 Uhr morgens. Normalerweise trinken wir zu dieser Zeit den Kaffee im Büro, bereit, uns in Projekte zu stürzen. Jetzt sind wir an einer Tankstelle im Stadtteil Marasti. Auch sehen wir nicht nach Designern aus, eher wie Abenteurer, ausgestattet mit Wanderschuhen, Sonnenhüten und Rucksäcken. Die Stimmung ist großartig – wir lachen und scherzen, sind aufgeregt wie damals, wenn wir zu Schulausflügen aufbrachen. Aber wir sind nicht mehr in der Schule, und dies ist ein Arbeitstag. Der „Flux-Tag", an dem wir unsere Batterien aufladen.
Los gehts!
Wir fixieren das Ziel auf den Karten, verteilen uns auf die Autos und fahren los nach Sic (zu Deutsch: Secken). Es ist schon warm, wolkenlos, alles frisch und grün. Wir freuen uns, die Stadt hinter uns zu lassen. Vor unseren Augen ziehen Häuser, Höfe, Tiere, Bontida, Gherla vorbei. Wir durchfahren auch Sic, wundern uns, wie groß es ist, und halten nach etwa einem Kilometer auf einem geschotterten Parkplatz an. Auf einer Seite der Straße erstreckt sich, soweit die Augen reichen, das Schilf, durchquert von einem Holzsteg. Instagramreif!
Von Bränden zum Festival
Mihai von Flux wartet schon auf uns. Er stellt uns Sandu vor, den Biologen, der uns führen wird. Die Präsentation beginnt auf dem Parkplatz, wo eine Tafel mit dem Fizes-Becken aufgestellt ist. Wir hören von den Naturschutzgebieten, den Natura 2000-Gebieten und dem Transsilvanien-Delta-Projekt, das versuchte, durch Förderung des Ökotourismus´ die Einheimischen in die Erhaltung des Schilfes einzubeziehen. Es war schwierig, die Dorfbewohner zu überzeugen, das Schilf nicht mehr anzuzünden, von dem sie glaubten, dass sich dort alles Böse versteckt. Genauso schwer war es, sie zu überzeugen, ein Festival zu beherbergen. Aber nach dem Schilf-Fest gab es keine größeren Brände mehr.
Das Delta bei Cluj
Wir schreiten im Entenmarsch auf dem Steg voran. Wenn Sandu uns vom Schilf erzählt oder auf Vogelrufe hinweist, halten wir an. Am ersten Beobachtungsposten hören wir noch mehr Geschichten, wie sich dieses Moor gebildet hat, welches vor hunderten von Jahren die gesamte siebenbürgische Ebene bedeckte. Heute ist nur ein Fleckchen geblieben, aber es ist dennoch das größte in Transsilvanien und das zweitgrößte des Landes, gleich nach dem Donau-Delta. In Europa gibt es nur noch wenige sich ununterbrochen erstreckende Lebensräume der Schilflandschaft, von denen einige weltweit geschützte Vogelarten abhängen.
Wildtiere
Das Schilf erweckt sich nach und nach zum Leben, während wir dem Biologen lauschen. Wir erfahren, dass sich in ihm Rohrdommeln (Botaurus stellaris) verstecken, die dumpfe Rufe von sich geben, die auch von einer Reibtrommel stammen könnten. Auch Rohrweihen (Circus aeruginosus) leben hier, geschützte Vögel, die von weitläufigen Fechtgebieten abhängig sind. Und ganz viele Drosselrohrsänger (Acrocephalus arundinaceus), Wasserrallen (Rallus aquaticus), Blässhühner (Fulica atra), Teichrallen (Gallinula chloropus), Bartmeisen (Panurus biarmicus). Es ist voller Europäischer Laubfrösche (Hyla arborea) und Bisamratten (Ondatra zibethicus), und im Winter kommen auch Wildschweine und Rehe ins Schilf.
Ein passionierter Biologe
Die Begegnung mit einem Laubfrosch führt zu einer köstlichen Geschichte, einer Art Liebeserklärung an Wirbeltiere. Wie sich Fische vermehren, Verführungskünste der Molche, der Evolutionsschritt der Partnerumarmung bei Fröschen, und so weiter bis hin zur Liebe zwischen Menschen, wie wir sie kennen. Wir stellen tausend Fragen und lauschen fasziniert den Antworten – das ist Biologieunterricht, wie wir ihn uns immer wünschten, wenn wir die Schule mit Discovery verglichen. Sandu berichtet uns noch von einem Experiment, das er hier für seine Doktorarbeit durchführte. Er legte mit Knetgummi gefüllte Eier in die Nester der Vögel, um nach den Beißabdrücken die Nesträuber zu identifizieren. Die Bisamratten standen unter Verdacht, eine Art Sumpfratten, aber, wie sich herausstellte, zu Unrecht.
Aus der Höhe
Der zweite Beobachtungsposten steht erhöht, also kletterten wir über eine Holzleiter hinein. Für Büromenschen bedeutet dies: Adrenalin. Das Schilf erstreckt sich bis zu den fernen Hügeln. Hoch darüber kreisen drei Mäusebussarde (Buteo buteo). Sandu erkannte sie und erzählte uns, wie sie, aus dieser Höhe, ihre winzigen Beutetiere im Gras ausmachen können. In ihrem Sehspektrum ist Urin phosphoreszierend und so zeichnen sich die Bahnen der Mäuse perfekt ab.
Wenn die Ruhe in dich einkehrt
Auf dem Rückweg zu den Autos betrachten wir das mit dem Wasser am Boden und dem fernen Dorf verbundene Schilfmeer bereits mit anderen Augen. Alles ist verbunden, in einem zerbrechlichen und komplexen Gleichgewicht. Wir fühlten uns von Sonne, Wind und dem Rascheln des Schilfs gereinigt. Der Effekt von Natur und weitem Raum ist unbeschreiblich – er lädt uns auf, beruhigt, gibt uns ein weicheres, begrenzteres Tempo. Wir lächeln immer mehr.
Ein verrücktes Denkmal
Wir brechen nach Tauseni auf, wo Sandu sagt, dass es noch etwas Sehenswertes gibt. Ein winziges Dorf, weit abgelegen. Wir halten am Fuße eines Hügels an, auf dem merkwürdige Gebilde zu sehen sind. Keiner von uns hatte bisher etwas von Alexandru Chira gehört oder von dem Denkmal, das er in seinem Geburtsort errichtete – es sind 4-5 große, farbenfrohe Gebilde, die wie von einer lustigen Gruppe Außerirdischer dort abgestellt erscheinen. Wir klettern darauf herum, fotografieren sie und machen Selfies. Wir verstehen, dass der Künstler hier, in seinem ganz persönlichen, modernen und symbolgeladenen Stil, eine Hommage an die Initiationsreisen aus Märchen und dem Rhythmus der Natur erschaffen hat. Und selbst, wenn nicht uns allen die Ästhetik der Gebilde gefällt, können wir es doch als etwas in der Natur zwar Ungewöhnliches, aber mit ihr in Harmonie stehend, schätzen.
Und ein Freibad mitten im Nichts
Auf dem Rückweg nach Sic kommen wir an einem Salzwasserfreibad vorbei. Erbaut am Straßenrand, inmitten einer weiten Leere, scheint es aus einem Film der Gebrüder Coen zu stammen. Wir halten an. Wir gehen darum herum, eine Gelegenheit für Sandu, uns eine Pflanze zu zeigen, die für die Menschen eine Wichtige Rolle spielen könnte. Sie heißt Queller (Salicornia) und wächst in salzlastigen Gebieten, aride Zonen, die meterweise fortlaufend aus dem Süden voranschreiten. Neben der Tatsache, dass sie das Salz aus dem Boden aufnimmt und diesen so wieder nutzbar macht, ist diese Pflanze auch in Salaten sehr schmackhaft. Wir überzeugen uns selbst davon und knabbern die länglichen, koniferenartigen Blätter.
Achtung, Reiher!
Wir haben noch ein Ziel, in der Nähe von Taga. Wir verlassen die Straße und wagen uns mit den Autos auf Wege für Pferdekarren und Trecker, aber es ist trocken und wir kommen an. Wir stapfen durch ein Stoppelfeld zum Wald auf dem Hügel hinauf, in den wir über einen Pfad, von dem Sandu wusste, eintreten. Nach ein paar hundert steinigen Metern erreichen wir ein Gebiet, in dem die Stämme und Blätter der Buchen verbrannt und aschgrau wirken. Tatsächlich aber sind sie über und über voller Exkremente, die die Kolonie von Reihern, die in den Wipfeln brütet, hinterlassen hat. Das erklärt auch den seltsamen Geruch! Wir wurden vorsichtig, als wir erfuhren, dass sie, wenn sie sich bedroht fühlen, auch manchmal Säure auswürgen. Wir umgehen die präzise abgegrenzte Zone und versuchen, die Vögel zu erkennen und zu fotografieren.
Wir erfahren, dass es eine besondere Kolonie ist, in der Graureiher (Ardea cinerea) und Nachtreiher (Nycticorax nycticorax) beieinander brüten. Sie ernähren sich von Fröschen und Fischen aus den Pfützen und brüten auf dem Gipfel des Hügels, inmitten des Waldes, und verbinden so den Wald mit dem Wasser, den Hügel mit dem Tal. Die Diversität der Ökosysteme verleiht dem umgebenden Leben Diversität.
Der Flux-Zustand
Es ist fast 17:00 Uhr, als wir uns verabschieden und in die Autos steigen. Es scheint uns schon, als würden wir Sandu bereits seit langem kennen, er ist warm und natürlich, und seine Kenntnisse und Begeisterung faszinieren uns – wir haben das Gefühl, dass wir uns wiedersehen werden. Auf dem Weg sind wir schweigsam, die Nasen in unseren Telefonen vergraben. Dieser Tag war wie ein kleiner Urlaub mit seiner Dosis von Entspannung, Entdecken und Begeisterung. Wir posten unsere Bilder. Was wird uns Flux wohl für das nächste Mal vorbereiten?
- Wir haben beschlossen, Ihnen anstelle unserer Präsentation, gespickt mit Ankerbegriffen wie „Zusammenhalt", „Retention" oder „Loyalität" lieber von einem unserer Erlebnisse zu berichten, die wir Firmen anbieten, und wir lassen Sie sich Ihre Schlüsse selber ziehen. Wenn Sie an unserer Arbeit interessiert sind, finden Sie uns auf unserer Homepage und auf Facebook.
Facebook: www.facebook.com/FluxProjectCluj
Homepage: fluxproject.ro/
Artikel in rumänischer Sprache: